"Große Verbrüderung und Hochs auf die Infanterie. Feldgraue Helme wurden weggeworfen, Mützen aufgesetzt und Klamauk gemacht."
(aus dem Tagebuch eines Konstrukteurs der Kaiserlichen Werft, 4.11.1918)
Am 24. Oktober 1918 befahl die deutsche Seekriegsleitung unter Admiral Scheer, dass die Hochseeflotte für eine letzte "Entscheidungsschlacht" im bereits verlorenen Krieg auslaufen solle. In Wilhelmshaven und vor allem in Kiel meuterten daraufhin die Matrosen, die sich nicht sinnlos für die militärische Ehre der höheren Offiziere verheizen lassen wollten. Unter Führung des Matrosen Karl Artelt und des Werftarbeiters Lothar Popp versammelten sich Tausende Matrosen und Kieler Arbeiter, um ein Ende des Krieges zu fordern.
Am 4. November war Kiel die erste Stadt in Deutschland, in der die Arbeiter und Soldaten die Macht übernahmen; von Kiel aus strahlte die Bewegung nach ganz Deutschland aus, bis zuletzt am 9. November in Berlin die Republik ausgerufen wurde.
Andere Revolutionen sind mit Ortsnamen wie Bastille, Petersburger Winterpalais oder auch Frankfurter Paulskirche verknüpft. Die Schauplätze der Novemberrevolution 1918 hingegen heißen Vieburger Gehölz, Waldwiese oder Brunswiker Straße.
Nach dem Admiral, der die "Todesfahrt" der Matrosen befahl, ist im heutigen Kiel ein Hafen benannt. Derlei Ehre ist den Protagonisten auf Seiten der Matrosen und Arbeiter nicht zuteil geworden. Fast hat man schon den Eindruck, die Landeshauptstadt würde sich ihres bedeutendsten Beitrages zur deutschen Geschichte schämen: Die Initialzündung zu geben für die erste parlamentarische Republik in Deutschland.
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"Matrosenaufstand" heißt die Produktion der Berliner Theatergruppe , die in ihrer Reihe "Kino der Freiheit" die Kieler Geschehnisse des Novembers 1918 beleuchtet - dies in der totalen Finsternis des völlig abgedunkelten Kieler Flandernbunkers.
Der Ausgangspunkt sind historische Textfragmente - Reden, Interviews mit Matrosenkindern, Berichte von Zeitzeugen, die mittels historischer Geräuschkulisse - wie Lenzpumpen, Aschfallklappen, Feuertüren - zwei Schauspielern, zwei Sängern und einem Musiker sinnlich vermittelt werden. Im Ergebnis schafft das rhythmische Zusammenwirken von Sprache und Musik in der völligen Finsternis des Bunkers veränderliche Raumdimensionen, es rückt die Schauspielerkörper in unmittelbare Nähe, es ermöglicht Momente für in die Dunkelheit hinein imaginierte Bilder. Der Flandernbunker dient dabei als Instrument – seine Architektur bringt nicht nur eine besondere Akkustik hervor, sondern auch spezielle Gefühle, Stimmungen und Reibungen.
Die Produktion findet u.a. in Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehinderten-Verein Schleswig-Holstein, vermittelt durch dessen Kulturprojekt "blickfrei - Dialog jenseits des Augenscheins" statt, der die Aufführungen mit Guides unterstützt.
Revolution im Kopf, Kino im Kopf: es entstehen durch die Worte und Geräusche Bilder. nachtkritik.de
ein Stück über das Zusammentreffen von physischer Macht und Sprachlosigkeit taz
Der leicht entflammbare Geist der Zeit wird herausdestilliert…ein lebendiges Hörstück zwischen expressiven Pathos, sperrigem Formalismus und norddeutscher Drögheit. Kieler Nachrichten
Das Ensemble wurde 2001 von Heiko Michels und Fabian Larsson in Berlin mit dem Ziel gegründet, neue Materialien in den Wahrnehmungsraum des Theaters einzuführen und alltägliche Wahrnehmungsformen theatral-experimentell zu erproben. Ihr Theater in gewählten oder gebauten Orten und Landschaften statt, in Hallen und Bunkern, im White Cube oder in totaler Finsternis.
limited-blindness.eu
Kino der Freiheit
Das "Kino der Freiheit" ist eine Serie von Produktionen von Limited Blindness, die an besonderen Orten ausgehend von historischen Texten in völliger Dunkelheit Stoffe mit Freiheitsbezug behandeln.
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Der Flandernbunker
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